Beschreibung und Einordnung des BuchschmucksTextüberlieferungProcter 1945 Juste 2020, https://ptolemaeus.badw.de/work/47 . Luncentini 2000 = Luncentini 2007 Einordnung des BuchschmucksFleuronnéeDas Erscheinungsbild dieses Codex wird wesentlich vom umfangreichen, künstlerisch sehr qualitätvollen Fleuronnée-Dekor bestimmt. Dieser ist das Werk dreier namentlich nicht bekannter Floratoren, die um 1400 nicht nur für König Wenzel IV. , sondern auch für das Prager Domkapitel tätig waren. Zu ihren Werken zählen u.a. die für Hanuš , den Koch des Königs, geschriebene und nach ihrem Schreiber benannte Korczek-Bibel (1. Band: ÖNB, Cod. 1169, dat. 1400; 2. Band: BLB Karlsruhe, St. Blasien 2), die Bibel des Münzmeisters Konrad von Vechta (Antwerpen, MPM, Ms 15/1-2, dat. 1402/3) und ein Missale aus dem Besitz des Prager Erzbischofs Zbinĕk von Hasenburg (ÖNB, Cod. 1844, dat. 1409). Die Buchstabenfüllungen der Initialen wurden von allen drei Floratoren ähnlich gestaltet und bestehen aus symmetrisch angeordneten, sorgfältig gezeichneten Knospenrispen, Knospenmedaillons, Halbpalmetten und Kerbblättern. Am markantesten sind die Unterschiede in der Gestaltung des Besatzdekors und der Fadenausläufer:
Florator A zeichnet sich durch besonders fein ausgeführte Dekorformen aus, die jede Initiale wie ein dicht gewebter Teppich hinterlegen. Von den Buchstaben gehen jeweils parallel zum Schriftblock verlaufende Fadenbündel aus, die in sich verjüngenden Schlangenlinien enden. Als Schlussmotive verwendete dieser Florator häufig Violinschlüsselformen oder U-Häkchen, auch zarte Dreiblättchen sowie Bürsten- und Farnmotive sind in seinem Repertoire anzutreffen. Zudem ließ er die kürzeren Abläuffäden in eng geführten, nach links und rechts symmetrisch angelegten Schlangenlinien ausschwingen (z.B. ff. 54v , 62r ).
Florator B setzte die einzelnen Dekorformen lockerer, bemühte sich aber ebenfalls um deren orthogonale Anordnung. Er verwendete häufig eckige Perlenreihen, die den jeweiligen Buchstaben nahezu quadratisch rahmen. Von den an den Eckpunkten und jeweils in der Mitte angesetzten Strichelpyramiden geht in der Regel je ein Faden aus, der in großen, flach gedrückten Schlangenlinien ausläuft. Bei dicht übereinander stehenden Initialen scheinen diese ineinander eingehakt zu sein: ein Charakteristikum, das er mit dem Florator von Korczek-Bibel und Hasenburg-Missale teilt (z.B. ff. 246r , 321r ).
Florator C zeichnet sich durch große Formen und weit ausladende Schlaufengebilde im Kopf- oder Bas-de-page-Bereich der Seiten aus. Als Kontur- und Fadenbegleiter verwendete er Perlenreihen bzw. auch intermittierende Perlenreihen sowie Strichelpyramiden, Violinschlüssel-, Bürsten- und Farnblattmotive als Abschlussmotive. Wie Florator B hakte auch er die Ablauffäden untereinander stehender Initialen ineinander ein. Florator C ist jedoch der einzige der drei Floratoren, der zusätzlich auch freistehende Formen, wie Ringe (v.a. in den gebauchten Schlaufen) oder S- bzw. L-förmige Motive zur Verzierung einsetzte (vgl. ff. 193r , 336v ). Folio 59v zeigt in Textspalte b beispielhaft (und aufgrund der Zweifarbigkeit der H[ic]-Initiale besonders deutlich) die Ergänzungen, die dieser Florator an den Initialen des Florators A vorgenommen hat, auf f. 10r sehen wir beide Varianten vertreten: jene des Florators A in Textspalte a, jene des Florators C in Textspalte b. Fleuronnée dieser Art findet sich sehr ähnlich auch im Graduale des Magisters Václav Sech , das dieser dem Dominikanerkloster gestiftet hatte (Prag, Archiv der Karlsuniversität, o. Sign.) und in der Bibel desKonrad von Vechta .
Die für Florator A bestimmten Doppelbögen wurden am unteren Seitenrand mit Silberstift, jene für Florator B mit roter und blauer Tinte flüchtig nummeriert. (Da es sich hierbei um dieselbe Farbe handelt, mit der auch das Fleuronnée gezeichnet wurde, scheint er die ihm zugeteilten Quaternionen für die spätere Zusammenstellung des Codex selbst nummeriert zu haben.) Jene Lagen, die Florator C dekorierte, waren bereits vom Schreiber entsprechend geordnet und bezeichnet worden. Florator C stellte viele von Florator A nicht vollständig verzierte Initialen fertig und scheint daher am längsten an diesem Codex weitergearbeitet zu haben (eine Übersicht über die Verteilung der Floratoren-Arbeit nach Lagen s. Theisen, in Jenni - Theisen 2014, 126f. ). Dennoch wurden einige Initialen - auch im vorderen Bereich des Codex - nur halb oder gar nicht mehr ausgeführt. Heute geben diese unterschiedlichen Fertigungsgrade des Buchschmucks Aufschluss über den Arbeitsprozess und die Arbeitsteilung spätmittelalterlicher Buchproduktion (s. f. 7r ).
Deckfarbenmalereien und Probleme der Meisterbestimmung
Die Deckfarbenmalereien stammen von mindestens zwei Illuminatoren. Im wesentlichen ist der Meister der ersten Seite vom Meister der nachfolgenden historisierten Initialen zu unterscheiden. Dieser hat bei der Gestaltung der ornamentalen Initialen möglicherweise mit einem dritten zusammengearbeitet. Codices, die Malereien desselben Stils enthalten, sind die Goldene Bulle König Wenzels IV. (Folio 1 in ÖNB, Cod. 338, dat. 1400), der ebenfalls für den böhmischen König zusammengestellte Sammelband aus München (BSB, Clm 826, ca. 1402) sowie das 1404 datierte Hieronymus-Officium (Prag, KNM, XII A 18). Die Künstler sind ohne Zweifel dem Kreis der Prager Hofilluminatoren um 1400 zuzuordnen, wenngleich ihre genauere Identifizierung noch nicht gelungen ist.
Im Laufe der späten 1930er Jahre zeichnen sich zwei Meinungen zur Einordnung des ersten Meisters ab. Ein Vorschlag lautet, dass es sich (insbesondere im Hinblick auf die Goldene Bulle) um ein Werk des aus der Wenzelsbibel bekannten Simson-Meisters handle - diese These wurde 1937 von Heinrich Jerchel vertreten - , und ein zweiter lautet, dass es sich um ein Frühwerk des Meisters des Hasenburg-Missales handle - diese These wurde 1938 von Kurt Holter vertreten, der dabei auch klarstellte, dass er anders als Jerchel im genannten Hasenburg-Missale kein Spätwerk des Simson-Meisters sehe. Somit wurde erstmals auch eine Händescheidung vorgenommen, die später von Kropáček bestätigt wurde: auch er hielt einen derart eklatanten, stilistischen Wandel des Simson-Meisters innerhalb eines Jahrzehnts für unmöglich und plädierte für die Existenz eines “Meisters des Hasenburg-Missales ”. Jerchels These wurde dennoch von prominenter Stelle rezipiert, nämlich von Alfred Stange 1958, während Franz Unterkircher in seinem Inventar Holters Vorschlag favorisierte. Das hinderte $$lit$$Pocher nicht daran, die Anfangsseite des Cod. 2271 dem “Meister der Goldenen Bulle” zuzuschreiben ($$lit$$Kunsthistorisches Museum 1962), womit er vermutlich der Diskussion um den Simson-Meister ausweichen wollte. Er meinte damit allerdings nicht den heute so bezeichneten Meister der Goldenen Bulle , der nämlich zwar den Löwenanteil, aber just nicht die Anfangsseite der Goldenen Bulle illuminiert hatte. Pocher ging wie die meisten wohl nur von den jeweiligen Anfangsseiten der beiden Codices aus - und es ist ihm durchaus darin beizupflichten, dass es hier starke stilistische Bezüge gibt. Wenig später brachte Gerhard Schmidt einen neuen Vorschlag, indem er in seinem bis heute viel zitierten Beitrag zur gotischen Malerei in Böhmen (1969 ) dafür plädierte, die Anfangsseite des Ptolemäus-Kommentars sei ein Werk des allgemein weniger bekannten “Orakel-Meisters ” aus ÖNB Cod. 2352, während die Anfangsseite der Goldenen Bulle von Hofilluminator Frana stamme. Josef Krása (1964 , 1971 ) plädierte wiederum anders dafür, dass es sich bei Cod. 2271 um ein Werk handle, das “u.a. vom Maler der Paulus-Briefe ” geschaffen wurde, womit er darauf aufmerksam machte, dass auch dieser Codex nicht nur von einer Hand illuminiert wurde.
Aus dieser Vielfalt sei zusammengefasst: 1. Simson-Meister und Hasenburg-Meister dürften im Werkstattverbund gearbeitet haben, wobei der Simson-Meister der ältere, der Hasenburg-Meister der jüngere der beiden gewesen sein muss. Obwohl es einige Ähnlichkeiten im Gesichtsschnitt der Figuren gibt, lässt ein direkter Vergleich mit dem ersten Illuminator des Cod. 2271 weder eine Identifikation mit dem Simson-Meister noch eine Zuschreibung an den Meister des Hasenburg-Missales zu. 2. Eine weitere Schwierigkeit besteht zudem in der arbeitsteiligen Vorgangsweise. So zeigen Cod. 2271, Cod. 338, Clm 826 und XII A 18 zwar starke stilistische Gemeinsamkeiten, dazu kommen jedoch jeweils individuelle Elemente, die nicht von allen geteilt werden, weil sie aus der Zusammenarbeit unterschiedlicher Illuminatoren resultieren.
Unser Illuminator der ersten Seite des Ptolemaeus-Kommentars folgte in seiner Kombination aus Bordürenbändern, vergoldeten Leisten und Akanthusranken einer Konzeption, die auch in anderen Handschriften der Zeit zur Anwendung kam. Dies zeigen etwa das Dragmaticon des Wilhelm von Conches von 1402, das ebenfalls für die Bibliothek des Matthias Corvinus erworben und in Buda gebunden wurde (heute in Madrid, BN, Res. 28; Ramírez-Weaver, in: Fajt 2006, 493) oder der für König Wenzel IV. begonnene astronomisch-astrologische Sammelband in (München, BSB, Clm 826, ff. 11v, 27v; Ramírez-Weaver 2006, 490 ). Der Illuminator in Clm 826 dürfte mit unserem ersten Meister sogar identisch sein, evtl. auch mit jenem, der das erste Blatt der Goldenen Bulle und das Hieronymus-Officium in den wesentlichen Teilen illuminierte (Theisen 2018 ). Dies legen die Figuren (in weichen Farbtönen modellierte Gesichter, schmale Schultern, gelängte Oberkörper und schönlinige Draperien in Erinnerung an französische Vorbilder wie den Meister von Narbonne ) und deren räumliche Disposition in den großen historisierten Initialen, die Gestaltung der Wilden Männer in den Ranken, bis hin zu Details wie das abgerundete Visier des Turnierhelms über dem Wappen nahe. Gleichzeitig sind aber auch stilistische Unstimmigkeiten festzustellen, die in Cod. 2271 mit den ungelenk dargestellten Bademägden im Bas-de-page zu benennen sind. Beim Anblick dieser Figürchen mit den großen runden Köpfen und eigenartig verrutschten Knien wird klar, warum sich Schmidt an den Orakel-Meister des Cod. 2352 erinnert fühlte. Hier könnten aber auch ältere Vorlagen zum Einsatz gekommen sein, wie sie von Nikolaus Kuthner in der Wenzelsbibel verwendet wurden (vgl. ÖNB, Cod. 2761, f. 63r). Die Wildmänner wiederum stimmen mit jenen in der Goldenen Bulle überein und weisen in Proportionen und geschwungener Körperhaltung tatsächlich schon auf das Werk des Hasenburg-Meisters hin, der insbesondere mit dem Augustiner Chorherrenstift Karlshof in Prag (und über dessen Pröpste mit dem Domkapitel von St. Veit ) verbunden war.
Sehr viel stärkere Affinität zum Simson-Meister offenbart der zweite Meister in Cod. 2271, der ab f. 6v alle historisierten Initialen mit Figuren von Claudius Ptolemaeus und $$Haly Ben Redhvan gemalt hat. Er unterscheidet sich vom ersten Meister durch seine mit breiterem Pinsel gemalten, in schwere Stoffe gehüllten Figuren. Dem Geschmack des “Schönen Stils” entsprechend, weisen sie dennoch gelängte Oberkörper und relativ kleine Köpfe auf. Malereien dieser Art finden wir in einem Missale und einem 1397 datierten Collectarium für Wenzel von Radeč (Wenceslaus de Radecz, dok. 1379 - 1417), dem Dekan von St. Apollinaris sowie Kanoniker und zu dieser Zeit auch Dombaumeister von St. Veit (seine Codices befinden sich heute noch in der Bibliothek des Prager Metropolitankapitels unter Signatur P II [Collectarium] und P V [Missale], s. Podlaha 1903, Nr. 112, Nr. 1673 ). Abgesehen von der Figurengestaltung stimmt hier auch die Gestaltung der mit filigranen Goldranken gefüllten Bildgründe, der Buchstabenkörper und des Rankenwerks überein.
Daraus lässt sich abschließend festhalten, dass die Illuminationen des Cod. 2271 für den König von Buchmalern und Floratoren aus dem Kreis des Domkapitels von St. Veit geschaffen wurden. Eine Feststellung, die auch insofern von besonderer Bedeutung ist, als dem König und seinem engen Berater und Freund, dem Münzmeister und späteren Prager Erzbischof Konrad von Vechta , aus klerikalen (anti-hussitischen) Kreisen vorgeworfen wurde, der Astrologie, den schwarzen Künsten und dergleichen teuflischen Lehren verfallen zu sein (Theisen 2018, 10, Anm. 29 ).
Emblematisches Repertoire
Einer allgemeinen Mode spätmittelalterlicher Herrscher folgend, wurden die Handschriften König Wenzels IV mit emblematischen Figuren, Monogrammen und manchmal auch mit einer speziellen tschechischen Devise (toho bzde toho
) versehen. Diese sollten die persönlichen Ideale des Königs zum Ausdruck bringen und wurden als individuelle Ergänzung zur Heraldik Wenzels IV. betrachtet. Oftmals treten sie daher (nicht nur in der Buchmalerei) in Verbindung mit seinen Wappen auf, wurden aber auch unabhängig davon gruppiert und konnten in den königlichen Codices bestimmte Aspekte eines Textes hervorheben (besonders gut ist dies im Willehalm-Codex ÖNB Cod. ser. n. 2643 oder der Bibel König Wenzels, $$Cod. 2759–2764, zu beobachten). In Cod. 2271 zieren sie lediglich die Randbordüren der ersten Seite, und dennoch sind sie damit der untrügliche Beweis, dass dieser unvollendete Codex mit den heute sichtbaren Wappen des Königs Matthias Corvinus ursprünglich für König Wenzel IV. bestimmt gewesen war.
Auf diesem Blatt sind fast alle seiner Emblemfiguren bzw. -motive versammelt: der Wildmann, die Bademagd, der Drehknoten sowie die geflügelten Buchstaben “W” und “e”. Die gezähmte Ur-Kraft des Wildmanns, der hier im treuen Dienst des Königs steht, ist eine Figur, die auch andere Monarchen als Emblemfigur wählten: Ihm kommt vor allem die Aufgabe zu, die Wappen des Königs zu tragen (weitere Aspekte dieser Figur s. Studničková 2014 ). Auch die Jungfrau war ein beliebtes Motiv in der herrschaftlichen Emblematik, hier ist sie jedoch umgedeutet als Bademagd mit Wasserzuber und Badequast. Sie steht sowohl für Reinigung von Körper und Seele (“denn niemand soll die Krone tragen, des’ Herze sich entreinet”, wie es im Willehalm-Codex ÖNB Cod. ser. n. 2643 heißt), als auch für das Sternzeichen Virgo (Jungfrau), die nach Auslegung des böhmischen Sternenatlas für “das Volk” steht, das dem Herrscher in Liebe verbunden ist. Die erotische Konnotation der Mägdelein basiert auf diesen im wahrsten Sinne himmlischen Beziehungen zwischen dem Herrscher und seinem Volk. König Wenzel , den wir hier im Buchstabenblock “W” gefangen sehen, wird von zwei Bademägden betreut, da er sowohl König des Heiligen Römischen Reiches als auch König der Böhmen war. Die Darstellung der Bademagd und des Königs neben der Erschaffung des Urelternpaares in der Wenzelsbibel (Cod. 2759, f. 2v) lässt auch vermuten, dass die Bademagd als “Eva” gedeutet werden konnte, während der König sich – wie in den apokryphen biblischen Texten (s. “Die Schatzhöhle” Ephraims des Syrers ) dargestellt – als Nachfolger Adams, des ersten, von Gott eingesetzten Königs dieser Welt verstand. Mit dem Krönungszeremoniell war daher stets ein rituelles Bad verbunden, um in den paradiesischen Urzustand zurückzukehren, der die Grundlage jeder glücklichen Regentschaft war. Die Anspielung auf Eva sehen wir in diesem Blatt rechts unten (der Badequast ist formgleich mit jenen Blätterbündeln, die sich Adam und Eva bei ihrer Vertreibung aus dem Paradies über ihre Scham halten werden, vgl. Cod. 2759, f. 5r). Hier, auf dem ersten Blatt des Ptolemäus-Kommentars, steht eine lediglich mit Lendenschurz bekleidete Magd auf einem Drachen, der gemeinhin als Symbol des Bösen bzw. des Teufels galt und der dereinst von einer Jungfrau besiegt werden sollte. Diese beiden Motive – Jungfrau und Drache – sind auch als Konstellationen am Himmel zu sehen und wurden nicht zuletzt von Johannes auf Patmos in seiner visionären Schrift der Offenbarung mit der Heilsgeschichte verbunden.
Bademägde, Wildmänner und auch der König im Buchstabenblock tragen sogenannte Drehknoten (früher auch als “Liebesknoten” bezeichnet) als Zeichen ihrer gegenseitigen, treuen Verbundenheit. Der Drehknoten war offenbar auch das Abzeichen einer königlichen Gesellschaft, wie schon lange vermutet wurde und von Milada Studničková anhand schriftlicher Quellen überzeugend dargelegt werden konnte (Stuničková 2009 ). Der Gedanke gegenseitiger Verbundenheit kommt überdies in den auf König Wenzels Wams gestickten, geflügelten “e”-Monogrammen zum Ausdruck. “e” war ein vollständiges deutsches Wort und bedeutete sehr wahrscheinlich “Ehe” oder Bund, da der König der Krone und dem Land die Treue geschworen hat. Diese kann, wie eine Ehe, nur durch den Tod geschieden werden. Der König sitzt daher im Buchstaben “W” (in anderen Bildern auch im Buchstaben “e”), der hier eine feste Ehefessel bildet. Das “W” steht möglicherweise für den Heiligen Wenzel , der auch sein eigener Namenspatron war und der den Böhmen als Vikar Christi auf Erden galt. Im Sternenkatalog der böhmischen Könige wird das Sternzeichen der Waage mit Böhmen verbunden (dem Monat des Martyriums von Wenzel dem $$wieRef$$Přemysliden, wobei die Waage im Mittelalter sinnfälliger Weise auch als Symbol Christi galt). Der Heilige wurde besonders von Kaiser Karl IV. als Identifikationsfigur der böhmischen Länder propagiert. König Wenzel IV. war also Böhmen in ehelicher Treue auf Lebzeiten untrennbar verbunden (weitere Details und mehr Literatur zur Emblematik König Wenzels, s. Studničková 2009 ; Jenni–Theisen 2014, 5–12 ). Lenka Panušková schlug unter Hinweis auf die pythagoreische Philosophie vor, in den Monogrammen “e” und “W” ein “ev” zu lesen (epsilon, ny), womit in der Verbindung das überirdische “Eine” gemeint gewesen sein könnte (Panušková 2018 ).
Literatur (ausschließlich Buchmalerei und Emblematik betreffend): Gottlieb 1900, 6, 21. – Podlaha 1903, Nr. 112, Nr. 1673 . – Zinner 1925, Nr. 8690 (ff. 1r–422r). – Jerchel 1937 . – Holter 1939, Nr. 44 . – Kropáček 1946 . – Unterkircher 1957, 66 . – $$lit$$Pocher, in: Kunsthistorisches Museum 1962, 203f. Nr. 175. – Krása 1964, 466–486 . – Stange 1958, 45 . – Schmidt 1969, 238 . – Krása 1971, 1, 21, 52, 56, 87, 214, 215, 251, 258, 277 . – Ramírez-Weaver 2006a . – Ramirez-Weaver 2006b . – Studničková 2009 , 377–387. – Madas et al. 2009, 55 (Nr. 64) . – Jenni–Theisen 2014, 5–12, 123–131, Kat.-Nr. 3(mit weiterführender Literatur); Abb. 71–95, Fig. 31,113,12 . – Studničková 2014, 214–239 . – Theisen 2018, 10, Anm. 29, 29, Abb. 16 . – Panušková 2018, 82–97, hier bes. 93f. (zu den Emblemen).- Zsupán 2020, 36 (Anm. 61), 68 (mit Abb. 5), 96 . $$lit$$Kunst als Herrschaftsinstrument: Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext
Offene Fragen zur Provenienz
Beschreibung und Einordnung des BuchschmucksTextüberlieferungProcter 1945 Juste 2020, https://ptolemaeus.badw.de/work/47 . Luncentini 2000 = Luncentini 2007 Einordnung des BuchschmucksFleuronnéeDas Erscheinungsbild dieses Codex wird wesentlich vom umfangreichen, künstlerisch sehr qualitätvollen Fleuronnée-Dekor bestimmt. Dieser ist das Werk dreier namentlich nicht bekannter Floratoren, die um 1400 nicht nur für König Wenzel IV. , sondern auch für das Prager Domkapitel tätig waren. Zu ihren Werken zählen u.a. die für Hanuš , den Koch des Königs, geschriebene und nach ihrem Schreiber benannte Korczek-Bibel (1. Band: ÖNB, Cod. 1169, dat. 1400; 2. Band: BLB Karlsruhe, St. Blasien 2), die Bibel des Münzmeisters Konrad von Vechta (Antwerpen, MPM, Ms 15/1-2, dat. 1402/3) und ein Missale aus dem Besitz des Prager Erzbischofs Zbinĕk von Hasenburg (ÖNB, Cod. 1844, dat. 1409). Die Buchstabenfüllungen der Initialen wurden von allen drei Floratoren ähnlich gestaltet und bestehen aus symmetrisch angeordneten, sorgfältig gezeichneten Knospenrispen, Knospenmedaillons, Halbpalmetten und Kerbblättern. Am markantesten sind die Unterschiede in der Gestaltung des Besatzdekors und der Fadenausläufer:
Florator A zeichnet sich durch besonders fein ausgeführte Dekorformen aus, die jede Initiale wie ein dicht gewebter Teppich hinterlegen. Von den Buchstaben gehen jeweils parallel zum Schriftblock verlaufende Fadenbündel aus, die in sich verjüngenden Schlangenlinien enden. Als Schlussmotive verwendete dieser Florator häufig Violinschlüsselformen oder U-Häkchen, auch zarte Dreiblättchen sowie Bürsten- und Farnmotive sind in seinem Repertoire anzutreffen. Zudem ließ er die kürzeren Abläuffäden in eng geführten, nach links und rechts symmetrisch angelegten Schlangenlinien ausschwingen (z.B. ff. 54v , 62r ).
Florator B setzte die einzelnen Dekorformen lockerer, bemühte sich aber ebenfalls um deren orthogonale Anordnung. Er verwendete häufig eckige Perlenreihen, die den jeweiligen Buchstaben nahezu quadratisch rahmen. Von den an den Eckpunkten und jeweils in der Mitte angesetzten Strichelpyramiden geht in der Regel je ein Faden aus, der in großen, flach gedrückten Schlangenlinien ausläuft. Bei dicht übereinander stehenden Initialen scheinen diese ineinander eingehakt zu sein: ein Charakteristikum, das er mit dem Florator von Korczek-Bibel und Hasenburg-Missale teilt (z.B. ff. 246r , 321r ).
Florator C zeichnet sich durch große Formen und weit ausladende Schlaufengebilde im Kopf- oder Bas-de-page-Bereich der Seiten aus. Als Kontur- und Fadenbegleiter verwendete er Perlenreihen bzw. auch intermittierende Perlenreihen sowie Strichelpyramiden, Violinschlüssel-, Bürsten- und Farnblattmotive als Abschlussmotive. Wie Florator B hakte auch er die Ablauffäden untereinander stehender Initialen ineinander ein. Florator C ist jedoch der einzige der drei Floratoren, der zusätzlich auch freistehende Formen, wie Ringe (v.a. in den gebauchten Schlaufen) oder S- bzw. L-förmige Motive zur Verzierung einsetzte (vgl. ff. 193r , 336v ). Folio 59v zeigt in Textspalte b beispielhaft (und aufgrund der Zweifarbigkeit der H[ic]-Initiale besonders deutlich) die Ergänzungen, die dieser Florator an den Initialen des Florators A vorgenommen hat, auf f. 10r sehen wir beide Varianten vertreten: jene des Florators A in Textspalte a, jene des Florators C in Textspalte b. Fleuronnée dieser Art findet sich sehr ähnlich auch im Graduale des Magisters Václav Sech , das dieser dem Dominikanerkloster gestiftet hatte (Prag, Archiv der Karlsuniversität, o. Sign.) und in der Bibel desKonrad von Vechta .
Die für Florator A bestimmten Doppelbögen wurden am unteren Seitenrand mit Silberstift, jene für Florator B mit roter und blauer Tinte flüchtig nummeriert. (Da es sich hierbei um dieselbe Farbe handelt, mit der auch das Fleuronnée gezeichnet wurde, scheint er die ihm zugeteilten Quaternionen für die spätere Zusammenstellung des Codex selbst nummeriert zu haben.) Jene Lagen, die Florator C dekorierte, waren bereits vom Schreiber entsprechend geordnet und bezeichnet worden. Florator C stellte viele von Florator A nicht vollständig verzierte Initialen fertig und scheint daher am längsten an diesem Codex weitergearbeitet zu haben (eine Übersicht über die Verteilung der Floratoren-Arbeit nach Lagen s. Theisen, in Jenni - Theisen 2014, 126f. ). Dennoch wurden einige Initialen - auch im vorderen Bereich des Codex - nur halb oder gar nicht mehr ausgeführt. Heute geben diese unterschiedlichen Fertigungsgrade des Buchschmucks Aufschluss über den Arbeitsprozess und die Arbeitsteilung spätmittelalterlicher Buchproduktion (s. f. 7r ).
Deckfarbenmalereien und Probleme der Meisterbestimmung
Die Deckfarbenmalereien stammen von mindestens zwei Illuminatoren. Im wesentlichen ist der Meister der ersten Seite vom Meister der nachfolgenden historisierten Initialen zu unterscheiden. Dieser hat bei der Gestaltung der ornamentalen Initialen möglicherweise mit einem dritten zusammengearbeitet. Codices, die Malereien desselben Stils enthalten, sind die Goldene Bulle König Wenzels IV. (Folio 1 in ÖNB, Cod. 338, dat. 1400), der ebenfalls für den böhmischen König zusammengestellte Sammelband aus München (BSB, Clm 826, ca. 1402) sowie das 1404 datierte Hieronymus-Officium (Prag, KNM, XII A 18). Die Künstler sind ohne Zweifel dem Kreis der Prager Hofilluminatoren um 1400 zuzuordnen, wenngleich ihre genauere Identifizierung noch nicht gelungen ist.
Im Laufe der späten 1930er Jahre zeichnen sich zwei Meinungen zur Einordnung des ersten Meisters ab. Ein Vorschlag lautet, dass es sich (insbesondere im Hinblick auf die Goldene Bulle) um ein Werk des aus der Wenzelsbibel bekannten Simson-Meisters handle - diese These wurde 1937 von Heinrich Jerchel vertreten - , und ein zweiter lautet, dass es sich um ein Frühwerk des Meisters des Hasenburg-Missales handle - diese These wurde 1938 von Kurt Holter vertreten, der dabei auch klarstellte, dass er anders als Jerchel im genannten Hasenburg-Missale kein Spätwerk des Simson-Meisters sehe. Somit wurde erstmals auch eine Händescheidung vorgenommen, die später von Kropáček bestätigt wurde: auch er hielt einen derart eklatanten, stilistischen Wandel des Simson-Meisters innerhalb eines Jahrzehnts für unmöglich und plädierte für die Existenz eines “Meisters des Hasenburg-Missales ”. Jerchels These wurde dennoch von prominenter Stelle rezipiert, nämlich von Alfred Stange 1958, während Franz Unterkircher in seinem Inventar Holters Vorschlag favorisierte. Das hinderte $$lit$$Pocher nicht daran, die Anfangsseite des Cod. 2271 dem “Meister der Goldenen Bulle” zuzuschreiben ($$lit$$Kunsthistorisches Museum 1962), womit er vermutlich der Diskussion um den Simson-Meister ausweichen wollte. Er meinte damit allerdings nicht den heute so bezeichneten Meister der Goldenen Bulle , der nämlich zwar den Löwenanteil, aber just nicht die Anfangsseite der Goldenen Bulle illuminiert hatte. Pocher ging wie die meisten wohl nur von den jeweiligen Anfangsseiten der beiden Codices aus - und es ist ihm durchaus darin beizupflichten, dass es hier starke stilistische Bezüge gibt. Wenig später brachte Gerhard Schmidt einen neuen Vorschlag, indem er in seinem bis heute viel zitierten Beitrag zur gotischen Malerei in Böhmen (1969 ) dafür plädierte, die Anfangsseite des Ptolemäus-Kommentars sei ein Werk des allgemein weniger bekannten “Orakel-Meisters ” aus ÖNB Cod. 2352, während die Anfangsseite der Goldenen Bulle von Hofilluminator Frana stamme. Josef Krása (1964 , 1971 ) plädierte wiederum anders dafür, dass es sich bei Cod. 2271 um ein Werk handle, das “u.a. vom Maler der Paulus-Briefe ” geschaffen wurde, womit er darauf aufmerksam machte, dass auch dieser Codex nicht nur von einer Hand illuminiert wurde.
Aus dieser Vielfalt sei zusammengefasst: 1. Simson-Meister und Hasenburg-Meister dürften im Werkstattverbund gearbeitet haben, wobei der Simson-Meister der ältere, der Hasenburg-Meister der jüngere der beiden gewesen sein muss. Obwohl es einige Ähnlichkeiten im Gesichtsschnitt der Figuren gibt, lässt ein direkter Vergleich mit dem ersten Illuminator des Cod. 2271 weder eine Identifikation mit dem Simson-Meister noch eine Zuschreibung an den Meister des Hasenburg-Missales zu. 2. Eine weitere Schwierigkeit besteht zudem in der arbeitsteiligen Vorgangsweise. So zeigen Cod. 2271, Cod. 338, Clm 826 und XII A 18 zwar starke stilistische Gemeinsamkeiten, dazu kommen jedoch jeweils individuelle Elemente, die nicht von allen geteilt werden, weil sie aus der Zusammenarbeit unterschiedlicher Illuminatoren resultieren.
Unser Illuminator der ersten Seite des Ptolemaeus-Kommentars folgte in seiner Kombination aus Bordürenbändern, vergoldeten Leisten und Akanthusranken einer Konzeption, die auch in anderen Handschriften der Zeit zur Anwendung kam. Dies zeigen etwa das Dragmaticon des Wilhelm von Conches von 1402, das ebenfalls für die Bibliothek des Matthias Corvinus erworben und in Buda gebunden wurde (heute in Madrid, BN, Res. 28; Ramírez-Weaver, in: Fajt 2006, 493) oder der für König Wenzel IV. begonnene astronomisch-astrologische Sammelband in (München, BSB, Clm 826, ff. 11v, 27v; Ramírez-Weaver 2006, 490 ). Der Illuminator in Clm 826 dürfte mit unserem ersten Meister sogar identisch sein, evtl. auch mit jenem, der das erste Blatt der Goldenen Bulle und das Hieronymus-Officium in den wesentlichen Teilen illuminierte (Theisen 2018 ). Dies legen die Figuren (in weichen Farbtönen modellierte Gesichter, schmale Schultern, gelängte Oberkörper und schönlinige Draperien in Erinnerung an französische Vorbilder wie den Meister von Narbonne ) und deren räumliche Disposition in den großen historisierten Initialen, die Gestaltung der Wilden Männer in den Ranken, bis hin zu Details wie das abgerundete Visier des Turnierhelms über dem Wappen nahe. Gleichzeitig sind aber auch stilistische Unstimmigkeiten festzustellen, die in Cod. 2271 mit den ungelenk dargestellten Bademägden im Bas-de-page zu benennen sind. Beim Anblick dieser Figürchen mit den großen runden Köpfen und eigenartig verrutschten Knien wird klar, warum sich Schmidt an den Orakel-Meister des Cod. 2352 erinnert fühlte. Hier könnten aber auch ältere Vorlagen zum Einsatz gekommen sein, wie sie von Nikolaus Kuthner in der Wenzelsbibel verwendet wurden (vgl. ÖNB, Cod. 2761, f. 63r). Die Wildmänner wiederum stimmen mit jenen in der Goldenen Bulle überein und weisen in Proportionen und geschwungener Körperhaltung tatsächlich schon auf das Werk des Hasenburg-Meisters hin, der insbesondere mit dem Augustiner Chorherrenstift Karlshof in Prag (und über dessen Pröpste mit dem Domkapitel von St. Veit ) verbunden war.
Sehr viel stärkere Affinität zum Simson-Meister offenbart der zweite Meister in Cod. 2271, der ab f. 6v alle historisierten Initialen mit Figuren von Claudius Ptolemaeus und $$Haly Ben Redhvan gemalt hat. Er unterscheidet sich vom ersten Meister durch seine mit breiterem Pinsel gemalten, in schwere Stoffe gehüllten Figuren. Dem Geschmack des “Schönen Stils” entsprechend, weisen sie dennoch gelängte Oberkörper und relativ kleine Köpfe auf. Malereien dieser Art finden wir in einem Missale und einem 1397 datierten Collectarium für Wenzel von Radeč (Wenceslaus de Radecz, dok. 1379 - 1417), dem Dekan von St. Apollinaris sowie Kanoniker und zu dieser Zeit auch Dombaumeister von St. Veit (seine Codices befinden sich heute noch in der Bibliothek des Prager Metropolitankapitels unter Signatur P II [Collectarium] und P V [Missale], s. Podlaha 1903, Nr. 112, Nr. 1673 ). Abgesehen von der Figurengestaltung stimmt hier auch die Gestaltung der mit filigranen Goldranken gefüllten Bildgründe, der Buchstabenkörper und des Rankenwerks überein.
Daraus lässt sich abschließend festhalten, dass die Illuminationen des Cod. 2271 für den König von Buchmalern und Floratoren aus dem Kreis des Domkapitels von St. Veit geschaffen wurden. Eine Feststellung, die auch insofern von besonderer Bedeutung ist, als dem König und seinem engen Berater und Freund, dem Münzmeister und späteren Prager Erzbischof Konrad von Vechta , aus klerikalen (anti-hussitischen) Kreisen vorgeworfen wurde, der Astrologie, den schwarzen Künsten und dergleichen teuflischen Lehren verfallen zu sein (Theisen 2018, 10, Anm. 29 ).
Emblematisches Repertoire
Einer allgemeinen Mode spätmittelalterlicher Herrscher folgend, wurden die Handschriften König Wenzels IV mit emblematischen Figuren, Monogrammen und manchmal auch mit einer speziellen tschechischen Devise (toho bzde toho
) versehen. Diese sollten die persönlichen Ideale des Königs zum Ausdruck bringen und wurden als individuelle Ergänzung zur Heraldik Wenzels IV. betrachtet. Oftmals treten sie daher (nicht nur in der Buchmalerei) in Verbindung mit seinen Wappen auf, wurden aber auch unabhängig davon gruppiert und konnten in den königlichen Codices bestimmte Aspekte eines Textes hervorheben (besonders gut ist dies im Willehalm-Codex ÖNB Cod. ser. n. 2643 oder der Bibel König Wenzels, $$Cod. 2759–2764, zu beobachten). In Cod. 2271 zieren sie lediglich die Randbordüren der ersten Seite, und dennoch sind sie damit der untrügliche Beweis, dass dieser unvollendete Codex mit den heute sichtbaren Wappen des Königs Matthias Corvinus ursprünglich für König Wenzel IV. bestimmt gewesen war.
Auf diesem Blatt sind fast alle seiner Emblemfiguren bzw. -motive versammelt: der Wildmann, die Bademagd, der Drehknoten sowie die geflügelten Buchstaben “W” und “e”. Die gezähmte Ur-Kraft des Wildmanns, der hier im treuen Dienst des Königs steht, ist eine Figur, die auch andere Monarchen als Emblemfigur wählten: Ihm kommt vor allem die Aufgabe zu, die Wappen des Königs zu tragen (weitere Aspekte dieser Figur s. Studničková 2014 ). Auch die Jungfrau war ein beliebtes Motiv in der herrschaftlichen Emblematik, hier ist sie jedoch umgedeutet als Bademagd mit Wasserzuber und Badequast. Sie steht sowohl für Reinigung von Körper und Seele (“denn niemand soll die Krone tragen, des’ Herze sich entreinet”, wie es im Willehalm-Codex ÖNB Cod. ser. n. 2643 heißt), als auch für das Sternzeichen Virgo (Jungfrau), die nach Auslegung des böhmischen Sternenatlas für “das Volk” steht, das dem Herrscher in Liebe verbunden ist. Die erotische Konnotation der Mägdelein basiert auf diesen im wahrsten Sinne himmlischen Beziehungen zwischen dem Herrscher und seinem Volk. König Wenzel , den wir hier im Buchstabenblock “W” gefangen sehen, wird von zwei Bademägden betreut, da er sowohl König des Heiligen Römischen Reiches als auch König der Böhmen war. Die Darstellung der Bademagd und des Königs neben der Erschaffung des Urelternpaares in der Wenzelsbibel (Cod. 2759, f. 2v) lässt auch vermuten, dass die Bademagd als “Eva” gedeutet werden konnte, während der König sich – wie in den apokryphen biblischen Texten (s. “Die Schatzhöhle” Ephraims des Syrers ) dargestellt – als Nachfolger Adams, des ersten, von Gott eingesetzten Königs dieser Welt verstand. Mit dem Krönungszeremoniell war daher stets ein rituelles Bad verbunden, um in den paradiesischen Urzustand zurückzukehren, der die Grundlage jeder glücklichen Regentschaft war. Die Anspielung auf Eva sehen wir in diesem Blatt rechts unten (der Badequast ist formgleich mit jenen Blätterbündeln, die sich Adam und Eva bei ihrer Vertreibung aus dem Paradies über ihre Scham halten werden, vgl. Cod. 2759, f. 5r). Hier, auf dem ersten Blatt des Ptolemäus-Kommentars, steht eine lediglich mit Lendenschurz bekleidete Magd auf einem Drachen, der gemeinhin als Symbol des Bösen bzw. des Teufels galt und der dereinst von einer Jungfrau besiegt werden sollte. Diese beiden Motive – Jungfrau und Drache – sind auch als Konstellationen am Himmel zu sehen und wurden nicht zuletzt von Johannes auf Patmos in seiner visionären Schrift der Offenbarung mit der Heilsgeschichte verbunden.
Bademägde, Wildmänner und auch der König im Buchstabenblock tragen sogenannte Drehknoten (früher auch als “Liebesknoten” bezeichnet) als Zeichen ihrer gegenseitigen, treuen Verbundenheit. Der Drehknoten war offenbar auch das Abzeichen einer königlichen Gesellschaft, wie schon lange vermutet wurde und von Milada Studničková anhand schriftlicher Quellen überzeugend dargelegt werden konnte (Stuničková 2009 ). Der Gedanke gegenseitiger Verbundenheit kommt überdies in den auf König Wenzels Wams gestickten, geflügelten “e”-Monogrammen zum Ausdruck. “e” war ein vollständiges deutsches Wort und bedeutete sehr wahrscheinlich “Ehe” oder Bund, da der König der Krone und dem Land die Treue geschworen hat. Diese kann, wie eine Ehe, nur durch den Tod geschieden werden. Der König sitzt daher im Buchstaben “W” (in anderen Bildern auch im Buchstaben “e”), der hier eine feste Ehefessel bildet. Das “W” steht möglicherweise für den Heiligen Wenzel , der auch sein eigener Namenspatron war und der den Böhmen als Vikar Christi auf Erden galt. Im Sternenkatalog der böhmischen Könige wird das Sternzeichen der Waage mit Böhmen verbunden (dem Monat des Martyriums von Wenzel dem $$wieRef$$Přemysliden, wobei die Waage im Mittelalter sinnfälliger Weise auch als Symbol Christi galt). Der Heilige wurde besonders von Kaiser Karl IV. als Identifikationsfigur der böhmischen Länder propagiert. König Wenzel IV. war also Böhmen in ehelicher Treue auf Lebzeiten untrennbar verbunden (weitere Details und mehr Literatur zur Emblematik König Wenzels, s. Studničková 2009 ; Jenni–Theisen 2014, 5–12 ). Lenka Panušková schlug unter Hinweis auf die pythagoreische Philosophie vor, in den Monogrammen “e” und “W” ein “ev” zu lesen (epsilon, ny), womit in der Verbindung das überirdische “Eine” gemeint gewesen sein könnte (Panušková 2018 ).
Literatur (ausschließlich Buchmalerei und Emblematik betreffend): Gottlieb 1900, 6, 21. – Podlaha 1903, Nr. 112, Nr. 1673 . – Zinner 1925, Nr. 8690 (ff. 1r–422r). – Jerchel 1937 . – Holter 1939, Nr. 44 . – Kropáček 1946 . – Unterkircher 1957, 66 . – $$lit$$Pocher, in: Kunsthistorisches Museum 1962, 203f. Nr. 175. – Krása 1964, 466–486 . – Stange 1958, 45 . – Schmidt 1969, 238 . – Krása 1971, 1, 21, 52, 56, 87, 214, 215, 251, 258, 277 . – Ramírez-Weaver 2006a . – Ramirez-Weaver 2006b . – Studničková 2009 , 377–387. – Madas et al. 2009, 55 (Nr. 64) . – Jenni–Theisen 2014, 5–12, 123–131, Kat.-Nr. 3(mit weiterführender Literatur); Abb. 71–95, Fig. 31,113,12 . – Studničková 2014, 214–239 . – Theisen 2018, 10, Anm. 29, 29, Abb. 16 . – Panušková 2018, 82–97, hier bes. 93f. (zu den Emblemen).- Zsupán 2020, 36 (Anm. 61), 68 (mit Abb. 5), 96 . $$lit$$Kunst als Herrschaftsinstrument: Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext
Offene Fragen zur Provenienz
Die Wiener Corvinen. Beschreibung von Wien, ÖNB, Cod. 2271. Version 0.1, 8.5.2025. URL: https://digi-doc.onb.ac.at/fedora/objects/o:crv.cod-2271/methods/sdef:TEI/get
Verantwortlich für die BeschreibungIvana Dobcheva (Kodikologie), Katharina Kaska (Kodikologie), Marianne Rozsondai (Einband), Friedrich Simader (Geschichte), Maria Theisen (Buchschmuck), Edina Zsupán (Texterschließung, Literaturerfassung)
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