Textüberlieferung$$Notizen von ID: Mit den so genannten Capitula lucretiana in roter Tinte. On Renaissance MSS of Lucretius see A. Palmer Apendix A . See also Butterfield on the classification of MSS.
Butterfield: all Itali ultimately descend from π - the copy Poggio commisioned and sent to Niccoli. On the relation of the Poggianus to the other surviving manuscripts see Butterfield pp. 21-29. According to him the only logical possibility is that π derives from O alone, either directly or indirectly. See esp. ch. 4.$$
Beschreibung und Einordnung des BuchschmucksVergoldete Buchstabenkörper auf blauem Feld mit Weißrankendekor, der sich nach jeder Verzweigung stark verjüngt und in unregelmäßig geführten Spiralen windet. Die Sprossachsen sind durch trichterförmige Nodi mit gewelltem Rand gegliedert. An den Zweigen sitzen runde Knospenköpfchen, kleine Trifolien oder aus knolligen Blättern geformte, größere Blüten, denen leichte Gelblavierung weiche Plastizität verleiht. Blätter und Knospen füllen die Ecken der Außenfelder bzw. geben die Form der Außenfelder vor. Die von den Ranken segmentierten Binnenfelder wurden alternierend rosa, grün und blau ausgemalt, hin und wieder auch mit weißen und gelben Drei- und Vierpunktgruppen aufgelockert. Die über drei Seiten des Schriftspiegels geführten Ranken der ersten Seite winden sich um eine schmale Goldleiste und geben in der Mitte des Bas-de-page ein golden gerahmtes Medaillonfeld frei, in das das Wappen des ungarischen Königs Matthias Corvinus eingemalt war (das Wappen ist zwar getilgt, dennoch sind v.a. im unteren Bereich des Schildes der böhmische Löwe und die Silberstreifen des ungarischen Wappens gut zu erkennen – vom blau gefassten Bildgrund ist ein größeres Stück abgeplatzt). Hin und wieder offenbart der Künstler kleine Unsicherheiten in der Zeichnung, wie Knicke oder ungewollte Schwankungen in der Breite der Zweige, an manchen Stellen wurde die Farbe unterschiedlich dick aufgetragen. Die Ranken der ersten Seite sind mit einem geflügelten Putto, drei Vögeln und einem Schmetterling belebt.
Von Hermann Julius Hermann wurde die Buchmalerei dieses Codex als handwerksmäßige florentinische Arbeit um 1470 (Hermann 1932, 49 ), von Marianne Rozsondai als florentinische Arbeit bezeichnet (in: Bono 2002, 291 ); dort ist in Klammern die Jahreszahl 1481 beigefügt, die sich jedoch auf den Ofener $$KK: besser Buda?$$ Einband bezieht $$KK: und gefälscht ist, siehe die Einbandbeschreibung$$. Der Buchblock selbst ist nicht datiert).
Eine sichere Identifizierung des Florentiner Künstlers wird nicht nur durch die charakteristische Rankenführung, sondern vor allem durch die beigefügten Figuren in den Ranken der ersten Seite ermöglicht. Unverkennbar sind der muskulöse, pausbäckige Putto mit den zwei Falten unter dem Bauch sowie die Vögel mit vorgewölbter Stirn und weit geöffnetem Schnabel. Es handelt sich um eine Arbeit des auf Ornamentik spezialisierten Buchmalers Filippo di Matteo Torelli (1409–1468), dessen Tätigkeit wahrscheinlich seit den späten Dreißigerjahren, sicher aber seit den frühen Vierzigerjahren in der Werkstatt des Cartolaio und Buchbinders Michele di Giovanni Guarducci (1387–1453) nachweisbar ist: „Filippo di Matteo Torelli è in bottega di Michele di Giovanni Guarducci cartolaio e quivi minio“ (ASF, Catasto, Vaio, vol. 628, anno 1442, f. 382r; s. Levi D’Ancona 1962, 101 ; Tacconi 2005, 32 ). Michele band u.a. die beiden Psalterien, die von der Domopera in Auftrag gegeben worden waren und zu denen Torelli die Ornamentierung von 45 Initialen beigetragen hatte (Entstehungszeit: 1439 bis 1446; Mus. Opera Duomo, N. II n. 3 und O n. 4). Die Ausführung der Fleuronnée-Initialen hatte damals Giovanni d’Antonio Varnucci (†1459) übernommen, jene der Figuren und Bilder Zanobi Strozzi (1412–1468) aus Fiesole , Sohn des Benedetto di Caroccio Strozzi und Schüler bzw. Nachfolger Fra Angelicos . Die Aufzeichnungen der Domopera sind hinsichtlich der künstlerischen Einstufung Filippo Torellis bemerkenswert, wurde hier doch vertraglich festgehalten, dass Torelli nur dann wie vereinbart ausbezahlt werden würde, wenn seine Malereien auch von einem „guten Künstler“ für gut befunden würden (Tacconi 2005, 29, 30; die Rechnungsbücher wurden von Poggi 1909 publiziert).
Filippo Torelli war somit, wie auch Hermann erkannte, mehr dem Handwerk zugeordnet als der hohen Kunst. Seine ordentliche und durchaus originelle Arbeit an den Psalterien wurde den Ansprüchen der Operai jedoch gerecht, und er arbeitete danach Zeit seines Lebens für die Domopera; meistens gemeinsam mit ihm künstlerisch weit überlegenen Meistern wie Zanobi Strozzi oder dem jüngeren Ser Ricciardo di Nanni (dok. 1449–1480), die für die Ausführung von Bildern und Figuren zuständig waren. Mit ihnen gemeinsam arbeitete er auch für die Badia von Fiesole und für weltliche Herren, wobei die Aufträge vielfach durch Vespasiano da Bisticci (1421–1498) vermittelt wurden (De la Mare 1976, 240; ad Badia Fiesolana: Dressen 2013).
Dass Filippo di Matteo Torelli in der Werkstatt des Buchbinders und Stationarius (Cartolaio) Michele di Giovanni Guarducci tätig war, erscheint in diesem Zusammenhang in besonderem Licht: Vespasiano übernahm nämlich nach dem Tod Micheles im Jahr 1453 eben diese, an der Ecke Via del Proconsolo und Via Ghibellina gelegene Werkstatt gegenüber dem Bargello – dem ehemaligen Palazzo del Podestà (Tacconi 2005, 32; zur Übernahme der Werkstatt De la Mare, in: Garzelli 1985, 400; Maxson 2016, 30, 46; zu deren Lokalisierung publizierte Levi D’Ancona folgendes Dokument: „Pietro d’Antonio e Michele di Giovanni cartolai dirimpetto all porta del Podestà appigionano una casa…“, s. Levi D’Ancona 1962, 195; Tacconi 2005, 32). Offenbar übernahm Vespasiano im Zuge dessen auch Filippo’s Dienste, zumindest musste er ihn schon von früher persönlich gekannt haben.
Die 1458 in seinem Auftrag von Messer Piero Strozzi geschriebene, mehrbändige Livius-Ausgabe für Piero de‘ Medici zählt danach zu den Hauptwerken Filippo Torellis (Florenz, BML, Plut.63.10-12; Zuschreibung an Filippo von De la Mare 1971; die Medaillonbildchen und die realistisch eingemalten Vögel auf der ersten Seite des Plut.63.10 sind das Werk des Ser Ricciardo di Nanni). [Messer] Piero Strozzi, Sohn des Schreibers Benedetto di Pieraccione Strozzi, war, anders als noch sein Vater, aufgrund seines Theologiestudiums hochgebildet, ein sehr guter Lateiner und folglich einer der bevorzugten Schreiber Vespasianos (De la Mare 1965; Maxson 2016, 73). Eine etwas jüngere, ebenfalls von Piero Strozzi geschriebene „De Civitate dei“-Handschrift für Giovanni de‘ Medici ist mit Florenz, BML, Plut.12.19, aus den Jahren1460/63 überliefert. Ser Ricciardo di Nanni illuminierte hier die ersten beiden Folien (s. Dillon Bussi 1997; D’Agostino in: Cortesi 2010, 152; Labriola 2015, 541, mit weiterer Literatur). Filippo Torelli übernahm wieder die Gestaltung der Bianchi girari-Bordüren und Initialen im Buchinneren (mit vorskizzierten Putten von Ricciardo). Wie sehr Filippo von den in ihrer überzeugend wiedergegebenen, bewegten Körperlichkeit und bis in die wogenden Locken äußerst fein modellierten Putten des Ricciardo angetan war, lässt sich an seiner Bemühung erkennen, es dem Künstlerkollegen gleichzutun. Anders als Ricciardo aber, der besonders von Fra Filippo Lippi (dem Lehrer Botticellis), Domenico Veneziano und Alesso Baldovinetti beeinflusst war, sowie, was dokumentarisch belegt ist, 1449 bis 1452 in der Werkstatt des Battista di Niccolò da Padova arbeitete (Levi D’Ancona 1962, 230; Dillon Bussi 1997, 110; zusammenfassend Rossi 2016, 341–343), gelangen Filippo Torelli selbst auf Basis von Ricciardos Vorzeichnungen lediglich formelhaft modellierte, in ihrer Körperlichkeit nicht verstandene und damit etwas hölzern wirkende Figuren. Damit erweist er sich dem Werk des Maestro della Farsaglia Trivulziana (Maestro di Fiesole) sehr verwandt. Im Unterschied zu Filippo modellierte dieser namentlich unbekannte Meister seine Figuren mehr mit lavierendem Pinsel in hellem Ocker und ließ für die gehöhten Partien viel Pergament durchscheinen. Dennoch sind seine Figuren unverkennbar nach denselben Vorlagen gestaltet. (Vgl. Milano, Trivulziana, Triv. 692, dat. 1456, lt. Kolophon geschrieben im Gefängnis der Gonzaga zu Mantua von Raffaele Berti da Pistoia; Florenz, BML, Plut. 21.2, dat. 1458; Plut.19.9, dat. 1462 – Zuschreibungen von Zanichelli 2004, 883–885; die genannten Codices sind tatsächlich alle von einer Hand illuminiert, fälschlicher Weise wurde ihr Illuminator jedoch mit Raffaele Berti da Pistoia identifiziert, der sich in Rom, Vitt.Em.1429, dat. 1464, als Schreiber und Miniator nannte. Die Buchmalereien in Vitt.Em.1429 sind allerdings gänzlich anderer Natur als Triv. 692: Der Meister, der Triv. 692 illuminierte, ist folglich nicht identisch mit Raffaele. – Die am Schreibernamen orientierte Identifizierung des Illuminators mit Raffaele Berti wurde jedoch noch 2008 im [kunsthistorisch nicht in die Tiefe gehenden] Katalog der Manoscritti datati Vol. 19 für Plut.19.9 und 21.2 übernommen. Angesichts der großen stilistischen Unterschiede ist es dennoch angebracht, bis auf weiteres wieder zum Notnamen zurückzukehren, wie es jüngst auch Andrea Rizzi 2017, 35, oder Edina Zsupán 2018, 136, bevorzugten.) Dem Maestro della Farsaglia Trivulziana können zahlreiche weitere Codices zugeordnet werden, u.a. Florenz, BML, Plut.79.21; Fiesol. 19 und 20; Madrid, BNE, Vitr. 16/6; dazu nicht zuletzt auch die lt. Zsupán in den Fünfzigerjahren illuminierte und von der Autorin vorsichtig diesem Meister zugeordnete „Historia plantarum“ in Budapest, Egyetemi Könyvtár, Cod. Lat. 1. Darin heißt es auf f. Iv: Vespasianus librarius florentinus fecit fieri florentie (Tóth 2002, 263; Zsupán 2018, 136). Wieder kommen wir also zum Geschäftslokal des Vespasiano da Bisticci zurück, und es besteht Grund zur Annahme, dass Filippo di Matteo Torelli und der Maestro della Farsaglia dort als Buchdekorateure gearbeitet haben (wobei offenbleiben muss, ob sie ständig oder bei Bedarf in Vespasianos Bottega anwesend waren). Filippo, dessen Schmetterlinge und Vögel in den Ranken stark an Varnucci-Dekore erinnern, dürfte der ältere der beiden gewesen sein, der Maestro della Farsaglia der etwas jüngere, der sich bereits mehr an den Werken Francesco di Antonio del Chiericos und Ricciardo di Nannis orientierte.
Bis kurz vor seinem Tod im Mai 1468 arbeitete Filippo di Matteo Torelli für die Opera del Duomo. Seine letzte Arbeit sollte die Dekoration eines Evangeliars sein, die er nicht mehr fertig stellen konnte – eine Aufgabe, die Ricciardo schließlich für seinen langjährigen Freund und Kollegen zu Ende führte (Florenz, BML, Edili 115). Die 1962 von Mirella Levi D’Ancona vorgeschlagene Hypothese, Ricciardo hätte in den Jahren 1465 bis 1468 in Torellis Atelier gearbeitet, ist mittlerweile aufgegeben worden. Ricciardo muss wohl spätestens um 1460 eine eigene Werkstatt betrieben haben, wie entsprechende Zahlungen der Badia Fiesolana nahelegen (s. Rossi 2016, bes. 342). Es bleibt jedoch außer Zweifel, dass der künstlerisch auf ungleich höherem Niveau stehende Ricciardo die mit ihm zusammenarbeitenden Kleinmeister stark beeinflusste.
Die an der ÖNB aufbewahrte Abschrift der De rerum natura des Lucretius (Cod. 170) ist eine solche, vergleichsweise kleine Arbeit. Sie stammt von einem Schreiber, der seinen Notnamen nach einem von Vespasiano da Bisticci für die Badia Fiesolana bestellten und 1464 vollendeten Codex als „Scribe of Laur. Fiesole 44“ erhielt (Florenz, BML, Fiesol. 44; s. De la Mare, in: Garzelli 1985, Nr. 88; Dressen 2013, 17–25; Carmassi 2013
. Di Pietro Lombardi 2002, 294, identifizierte den Schreiber dagegen vorsichtig mit Gherardo Giovanni Ciriagi). Dem „Scribe of Laur. Fiesol. 44“ sind auch die beiden Budapester Corvinen der Egyetemi Könyvtár, Cod. Lat. 7 und Cod. Lat. 10 zuzuordnen. Patrizia Carmassi konnte ferner eine für Cosimo de Medici bestimmte Aristoteles-Handschrift in Chicago, Newberry Library, f. 96, der Hand dieses Schreibers zuweisen (Carmassi 2013, online). Mit dem von Carmassi ausführlich beschriebenen und um 1460 datierten Aristoteles-Codex in Göttingen, SUB, 2° Cod. Ms. Philol. 36, ist ein weiteres Werk des „Scribe of Laur. Fiesole 44“ überliefert (Farbabbildung in: Csapodi / Csapodi-Gárdonyi 1990, Taf. XXXI, 151, Bono 2002, 294). – Vermutlich aufgrund der Beobachtung, dass die beiden vom selben Schreiber kopierten Budapester Corvinen Cod. Lat. 7 und 10 in Francesco di Antonio del Chierico’s Atelier illuminiert worden sind, meinte Carmassi, dass der Göttinger – und mit ihm auch der Wiener Codex – ebenfalls in Francesco’s Werkstatt mit Buchmalereien versehen worden seien. Diese Zuordnung muss jedoch aufgegeben werden: Beide Codices wurden von Filippo di Matteo Torelli dekoriert ( Paul Saengers Beschreibung des Buchschmucks von Chicago, Newberry Library, f. 96, in der neben Weißrankendekor der Hinweis auf einen in Feder gezeichneten Vogel gegeben wird, könnte ebenfalls auf Filippo Torelli hindeuten) Zum stilistischen Vergleich bieten sich für Cod. 170 beispielsweise der Putto in Plut.63.11, f. 66r, das lächelnde Gesichtchen des Putto in Plut.12.19, f. 227v, und der Vogel mit dem stark nach unten gebogenen Hals in Plut.63.11, f. 85v, an (s. Abb. unten). Alle von ihm ausgeführten Dekore weisen zudem Filippos charakteristische Art der Rankengestaltung, Vögel mit der vorgewölbter Stirn und Schmetterlinge mit großen Augen auf.
Mit der Bestimmung des Meisters ist auch die Datierung verbunden. Da Filippo im Mai 1468 verstorben ist, muss der Codex vor 1468 dekoriert worden sein (eine letzte Bezahlung erhielt er von der Domopera im Jahr 1467, s. Poggi 1909, doc. 1710, 1711). Die Nähe zu Codex Göttingen philol. 63 sowie zu den oben angeführten Vergleichsbeispielen aus der Biblioteca Medicea Laurenziana sprechen für eine Entstehung des Cod. 170 in den späten Fünfziger- oder frühen Sechzigerjahren.
Textüberlieferung$$Notizen von ID: Mit den so genannten Capitula lucretiana in roter Tinte. On Renaissance MSS of Lucretius see A. Palmer Apendix A . See also Butterfield on the classification of MSS.
Butterfield: all Itali ultimately descend from π - the copy Poggio commisioned and sent to Niccoli. On the relation of the Poggianus to the other surviving manuscripts see Butterfield pp. 21-29. According to him the only logical possibility is that π derives from O alone, either directly or indirectly. See esp. ch. 4.$$
Beschreibung und Einordnung des BuchschmucksVergoldete Buchstabenkörper auf blauem Feld mit Weißrankendekor, der sich nach jeder Verzweigung stark verjüngt und in unregelmäßig geführten Spiralen windet. Die Sprossachsen sind durch trichterförmige Nodi mit gewelltem Rand gegliedert. An den Zweigen sitzen runde Knospenköpfchen, kleine Trifolien oder aus knolligen Blättern geformte, größere Blüten, denen leichte Gelblavierung weiche Plastizität verleiht. Blätter und Knospen füllen die Ecken der Außenfelder bzw. geben die Form der Außenfelder vor. Die von den Ranken segmentierten Binnenfelder wurden alternierend rosa, grün und blau ausgemalt, hin und wieder auch mit weißen und gelben Drei- und Vierpunktgruppen aufgelockert. Die über drei Seiten des Schriftspiegels geführten Ranken der ersten Seite winden sich um eine schmale Goldleiste und geben in der Mitte des Bas-de-page ein golden gerahmtes Medaillonfeld frei, in das das Wappen des ungarischen Königs Matthias Corvinus eingemalt war (das Wappen ist zwar getilgt, dennoch sind v.a. im unteren Bereich des Schildes der böhmische Löwe und die Silberstreifen des ungarischen Wappens gut zu erkennen – vom blau gefassten Bildgrund ist ein größeres Stück abgeplatzt). Hin und wieder offenbart der Künstler kleine Unsicherheiten in der Zeichnung, wie Knicke oder ungewollte Schwankungen in der Breite der Zweige, an manchen Stellen wurde die Farbe unterschiedlich dick aufgetragen. Die Ranken der ersten Seite sind mit einem geflügelten Putto, drei Vögeln und einem Schmetterling belebt.
Von Hermann Julius Hermann wurde die Buchmalerei dieses Codex als handwerksmäßige florentinische Arbeit um 1470 (Hermann 1932, 49 ), von Marianne Rozsondai als florentinische Arbeit bezeichnet (in: Bono 2002, 291 ); dort ist in Klammern die Jahreszahl 1481 beigefügt, die sich jedoch auf den Ofener $$KK: besser Buda?$$ Einband bezieht $$KK: und gefälscht ist, siehe die Einbandbeschreibung$$. Der Buchblock selbst ist nicht datiert).
Eine sichere Identifizierung des Florentiner Künstlers wird nicht nur durch die charakteristische Rankenführung, sondern vor allem durch die beigefügten Figuren in den Ranken der ersten Seite ermöglicht. Unverkennbar sind der muskulöse, pausbäckige Putto mit den zwei Falten unter dem Bauch sowie die Vögel mit vorgewölbter Stirn und weit geöffnetem Schnabel. Es handelt sich um eine Arbeit des auf Ornamentik spezialisierten Buchmalers Filippo di Matteo Torelli (1409–1468), dessen Tätigkeit wahrscheinlich seit den späten Dreißigerjahren, sicher aber seit den frühen Vierzigerjahren in der Werkstatt des Cartolaio und Buchbinders Michele di Giovanni Guarducci (1387–1453) nachweisbar ist: „Filippo di Matteo Torelli è in bottega di Michele di Giovanni Guarducci cartolaio e quivi minio“ (ASF, Catasto, Vaio, vol. 628, anno 1442, f. 382r; s. Levi D’Ancona 1962, 101 ; Tacconi 2005, 32 ). Michele band u.a. die beiden Psalterien, die von der Domopera in Auftrag gegeben worden waren und zu denen Torelli die Ornamentierung von 45 Initialen beigetragen hatte (Entstehungszeit: 1439 bis 1446; Mus. Opera Duomo, N. II n. 3 und O n. 4). Die Ausführung der Fleuronnée-Initialen hatte damals Giovanni d’Antonio Varnucci (†1459) übernommen, jene der Figuren und Bilder Zanobi Strozzi (1412–1468) aus Fiesole , Sohn des Benedetto di Caroccio Strozzi und Schüler bzw. Nachfolger Fra Angelicos . Die Aufzeichnungen der Domopera sind hinsichtlich der künstlerischen Einstufung Filippo Torellis bemerkenswert, wurde hier doch vertraglich festgehalten, dass Torelli nur dann wie vereinbart ausbezahlt werden würde, wenn seine Malereien auch von einem „guten Künstler“ für gut befunden würden (Tacconi 2005, 29, 30; die Rechnungsbücher wurden von Poggi 1909 publiziert).
Filippo Torelli war somit, wie auch Hermann erkannte, mehr dem Handwerk zugeordnet als der hohen Kunst. Seine ordentliche und durchaus originelle Arbeit an den Psalterien wurde den Ansprüchen der Operai jedoch gerecht, und er arbeitete danach Zeit seines Lebens für die Domopera; meistens gemeinsam mit ihm künstlerisch weit überlegenen Meistern wie Zanobi Strozzi oder dem jüngeren Ser Ricciardo di Nanni (dok. 1449–1480), die für die Ausführung von Bildern und Figuren zuständig waren. Mit ihnen gemeinsam arbeitete er auch für die Badia von Fiesole und für weltliche Herren, wobei die Aufträge vielfach durch Vespasiano da Bisticci (1421–1498) vermittelt wurden (De la Mare 1976, 240; ad Badia Fiesolana: Dressen 2013).
Dass Filippo di Matteo Torelli in der Werkstatt des Buchbinders und Stationarius (Cartolaio) Michele di Giovanni Guarducci tätig war, erscheint in diesem Zusammenhang in besonderem Licht: Vespasiano übernahm nämlich nach dem Tod Micheles im Jahr 1453 eben diese, an der Ecke Via del Proconsolo und Via Ghibellina gelegene Werkstatt gegenüber dem Bargello – dem ehemaligen Palazzo del Podestà (Tacconi 2005, 32; zur Übernahme der Werkstatt De la Mare, in: Garzelli 1985, 400; Maxson 2016, 30, 46; zu deren Lokalisierung publizierte Levi D’Ancona folgendes Dokument: „Pietro d’Antonio e Michele di Giovanni cartolai dirimpetto all porta del Podestà appigionano una casa…“, s. Levi D’Ancona 1962, 195; Tacconi 2005, 32). Offenbar übernahm Vespasiano im Zuge dessen auch Filippo’s Dienste, zumindest musste er ihn schon von früher persönlich gekannt haben.
Die 1458 in seinem Auftrag von Messer Piero Strozzi geschriebene, mehrbändige Livius-Ausgabe für Piero de‘ Medici zählt danach zu den Hauptwerken Filippo Torellis (Florenz, BML, Plut.63.10-12; Zuschreibung an Filippo von De la Mare 1971; die Medaillonbildchen und die realistisch eingemalten Vögel auf der ersten Seite des Plut.63.10 sind das Werk des Ser Ricciardo di Nanni). [Messer] Piero Strozzi, Sohn des Schreibers Benedetto di Pieraccione Strozzi, war, anders als noch sein Vater, aufgrund seines Theologiestudiums hochgebildet, ein sehr guter Lateiner und folglich einer der bevorzugten Schreiber Vespasianos (De la Mare 1965; Maxson 2016, 73). Eine etwas jüngere, ebenfalls von Piero Strozzi geschriebene „De Civitate dei“-Handschrift für Giovanni de‘ Medici ist mit Florenz, BML, Plut.12.19, aus den Jahren1460/63 überliefert. Ser Ricciardo di Nanni illuminierte hier die ersten beiden Folien (s. Dillon Bussi 1997; D’Agostino in: Cortesi 2010, 152; Labriola 2015, 541, mit weiterer Literatur). Filippo Torelli übernahm wieder die Gestaltung der Bianchi girari-Bordüren und Initialen im Buchinneren (mit vorskizzierten Putten von Ricciardo). Wie sehr Filippo von den in ihrer überzeugend wiedergegebenen, bewegten Körperlichkeit und bis in die wogenden Locken äußerst fein modellierten Putten des Ricciardo angetan war, lässt sich an seiner Bemühung erkennen, es dem Künstlerkollegen gleichzutun. Anders als Ricciardo aber, der besonders von Fra Filippo Lippi (dem Lehrer Botticellis), Domenico Veneziano und Alesso Baldovinetti beeinflusst war, sowie, was dokumentarisch belegt ist, 1449 bis 1452 in der Werkstatt des Battista di Niccolò da Padova arbeitete (Levi D’Ancona 1962, 230; Dillon Bussi 1997, 110; zusammenfassend Rossi 2016, 341–343), gelangen Filippo Torelli selbst auf Basis von Ricciardos Vorzeichnungen lediglich formelhaft modellierte, in ihrer Körperlichkeit nicht verstandene und damit etwas hölzern wirkende Figuren. Damit erweist er sich dem Werk des Maestro della Farsaglia Trivulziana (Maestro di Fiesole) sehr verwandt. Im Unterschied zu Filippo modellierte dieser namentlich unbekannte Meister seine Figuren mehr mit lavierendem Pinsel in hellem Ocker und ließ für die gehöhten Partien viel Pergament durchscheinen. Dennoch sind seine Figuren unverkennbar nach denselben Vorlagen gestaltet. (Vgl. Milano, Trivulziana, Triv. 692, dat. 1456, lt. Kolophon geschrieben im Gefängnis der Gonzaga zu Mantua von Raffaele Berti da Pistoia; Florenz, BML, Plut. 21.2, dat. 1458; Plut.19.9, dat. 1462 – Zuschreibungen von Zanichelli 2004, 883–885; die genannten Codices sind tatsächlich alle von einer Hand illuminiert, fälschlicher Weise wurde ihr Illuminator jedoch mit Raffaele Berti da Pistoia identifiziert, der sich in Rom, Vitt.Em.1429, dat. 1464, als Schreiber und Miniator nannte. Die Buchmalereien in Vitt.Em.1429 sind allerdings gänzlich anderer Natur als Triv. 692: Der Meister, der Triv. 692 illuminierte, ist folglich nicht identisch mit Raffaele. – Die am Schreibernamen orientierte Identifizierung des Illuminators mit Raffaele Berti wurde jedoch noch 2008 im [kunsthistorisch nicht in die Tiefe gehenden] Katalog der Manoscritti datati Vol. 19 für Plut.19.9 und 21.2 übernommen. Angesichts der großen stilistischen Unterschiede ist es dennoch angebracht, bis auf weiteres wieder zum Notnamen zurückzukehren, wie es jüngst auch Andrea Rizzi 2017, 35, oder Edina Zsupán 2018, 136, bevorzugten.) Dem Maestro della Farsaglia Trivulziana können zahlreiche weitere Codices zugeordnet werden, u.a. Florenz, BML, Plut.79.21; Fiesol. 19 und 20; Madrid, BNE, Vitr. 16/6; dazu nicht zuletzt auch die lt. Zsupán in den Fünfzigerjahren illuminierte und von der Autorin vorsichtig diesem Meister zugeordnete „Historia plantarum“ in Budapest, Egyetemi Könyvtár, Cod. Lat. 1. Darin heißt es auf f. Iv: Vespasianus librarius florentinus fecit fieri florentie (Tóth 2002, 263; Zsupán 2018, 136). Wieder kommen wir also zum Geschäftslokal des Vespasiano da Bisticci zurück, und es besteht Grund zur Annahme, dass Filippo di Matteo Torelli und der Maestro della Farsaglia dort als Buchdekorateure gearbeitet haben (wobei offenbleiben muss, ob sie ständig oder bei Bedarf in Vespasianos Bottega anwesend waren). Filippo, dessen Schmetterlinge und Vögel in den Ranken stark an Varnucci-Dekore erinnern, dürfte der ältere der beiden gewesen sein, der Maestro della Farsaglia der etwas jüngere, der sich bereits mehr an den Werken Francesco di Antonio del Chiericos und Ricciardo di Nannis orientierte.
Bis kurz vor seinem Tod im Mai 1468 arbeitete Filippo di Matteo Torelli für die Opera del Duomo. Seine letzte Arbeit sollte die Dekoration eines Evangeliars sein, die er nicht mehr fertig stellen konnte – eine Aufgabe, die Ricciardo schließlich für seinen langjährigen Freund und Kollegen zu Ende führte (Florenz, BML, Edili 115). Die 1962 von Mirella Levi D’Ancona vorgeschlagene Hypothese, Ricciardo hätte in den Jahren 1465 bis 1468 in Torellis Atelier gearbeitet, ist mittlerweile aufgegeben worden. Ricciardo muss wohl spätestens um 1460 eine eigene Werkstatt betrieben haben, wie entsprechende Zahlungen der Badia Fiesolana nahelegen (s. Rossi 2016, bes. 342). Es bleibt jedoch außer Zweifel, dass der künstlerisch auf ungleich höherem Niveau stehende Ricciardo die mit ihm zusammenarbeitenden Kleinmeister stark beeinflusste.
Die an der ÖNB aufbewahrte Abschrift der De rerum natura des Lucretius (Cod. 170) ist eine solche, vergleichsweise kleine Arbeit. Sie stammt von einem Schreiber, der seinen Notnamen nach einem von Vespasiano da Bisticci für die Badia Fiesolana bestellten und 1464 vollendeten Codex als „Scribe of Laur. Fiesole 44“ erhielt (Florenz, BML, Fiesol. 44; s. De la Mare, in: Garzelli 1985, Nr. 88; Dressen 2013, 17–25; Carmassi 2013
. Di Pietro Lombardi 2002, 294, identifizierte den Schreiber dagegen vorsichtig mit Gherardo Giovanni Ciriagi). Dem „Scribe of Laur. Fiesol. 44“ sind auch die beiden Budapester Corvinen der Egyetemi Könyvtár, Cod. Lat. 7 und Cod. Lat. 10 zuzuordnen. Patrizia Carmassi konnte ferner eine für Cosimo de Medici bestimmte Aristoteles-Handschrift in Chicago, Newberry Library, f. 96, der Hand dieses Schreibers zuweisen (Carmassi 2013, online). Mit dem von Carmassi ausführlich beschriebenen und um 1460 datierten Aristoteles-Codex in Göttingen, SUB, 2° Cod. Ms. Philol. 36, ist ein weiteres Werk des „Scribe of Laur. Fiesole 44“ überliefert (Farbabbildung in: Csapodi / Csapodi-Gárdonyi 1990, Taf. XXXI, 151, Bono 2002, 294). – Vermutlich aufgrund der Beobachtung, dass die beiden vom selben Schreiber kopierten Budapester Corvinen Cod. Lat. 7 und 10 in Francesco di Antonio del Chierico’s Atelier illuminiert worden sind, meinte Carmassi, dass der Göttinger – und mit ihm auch der Wiener Codex – ebenfalls in Francesco’s Werkstatt mit Buchmalereien versehen worden seien. Diese Zuordnung muss jedoch aufgegeben werden: Beide Codices wurden von Filippo di Matteo Torelli dekoriert ( Paul Saengers Beschreibung des Buchschmucks von Chicago, Newberry Library, f. 96, in der neben Weißrankendekor der Hinweis auf einen in Feder gezeichneten Vogel gegeben wird, könnte ebenfalls auf Filippo Torelli hindeuten) Zum stilistischen Vergleich bieten sich für Cod. 170 beispielsweise der Putto in Plut.63.11, f. 66r, das lächelnde Gesichtchen des Putto in Plut.12.19, f. 227v, und der Vogel mit dem stark nach unten gebogenen Hals in Plut.63.11, f. 85v, an (s. Abb. unten). Alle von ihm ausgeführten Dekore weisen zudem Filippos charakteristische Art der Rankengestaltung, Vögel mit der vorgewölbter Stirn und Schmetterlinge mit großen Augen auf.
Mit der Bestimmung des Meisters ist auch die Datierung verbunden. Da Filippo im Mai 1468 verstorben ist, muss der Codex vor 1468 dekoriert worden sein (eine letzte Bezahlung erhielt er von der Domopera im Jahr 1467, s. Poggi 1909, doc. 1710, 1711). Die Nähe zu Codex Göttingen philol. 63 sowie zu den oben angeführten Vergleichsbeispielen aus der Biblioteca Medicea Laurenziana sprechen für eine Entstehung des Cod. 170 in den späten Fünfziger- oder frühen Sechzigerjahren.
Die Wiener Corvinen. Beschreibung von Wien, ÖNB, Cod. 170. Version 0.1, 8.5.2025. URL: https://digi-doc.onb.ac.at/fedora/objects/o:crv.cod-170/methods/sdef:TEI/get
Verantwortlich für die BeschreibungIvana Dobcheva (Kodikologie), Katharina Kaska (Kodikologie), Marianne Rozsondai (Einband), Friedrich Simader (Geschichte), Maria Theisen (Buchschmuck), Edina Zsupán (Texterschließung, Literaturerfassung)
LizenzhinweisDie Beschreibung der Handschriften sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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